Kopfbäume als Lebensraum

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Schon die alten Römer wussten, das manche Baumarten aus ihrem Stock neu austreiben und zu kuriosen Gebilden heranwachsen können. Diese Fähigkeit machten sich die Menschen zunutze, um Heizmaterial und Rohstoffe zu gewinnen. Eine Methode war das Köpfen, „Abgipfeln“ oder „Scheiteln“ von Bäumen in Mannshöhe. Dafür kamen Baumarten wie die Weiden in Frage, deren Naturprodukt für Flechtarbeiten Verwendung fand. Aus diesen Weiden entstanden nach jahrzehntelanger Nutzung Kopfweiden. Auch Hainbuchen und Eichen wurden auf diese Weise bearbeitet, um Brennholz oder Rohstoffe für Fachwerkbauten zu gewinnen.  

 

Kopfbäume

Kopfbäume als Lebensraum für viele Tierarten

Der Specht und die Eule lieben sie – ein Haus für viele Kleinlebewesen

 


Das Abgipfeln in etwa zwei Metern Höhe hatte den Vorteil, dass Viehherden die neuen, zarten Triebe nicht abäsen konnten. Die einprägsamen Formen der Kopfbäume wurden auch zur Markierung von Grenzen verwendet. Dies galt sowohl für Ländereien wie auch zur „Kammerung“ von Waldparzellen.

Seit vielen Jahrzehnten betreibt man eine geplante Forstwirtschaft, wobei der Rohstofflieferant Wald einer starken Nutzung unterliegt. Solche markanten Bäume haben ihre Bedeutung für die Wirtschaft oder als Grenzmarkierung verloren. Zum größten Teil wurden sie herausgeschlagen und durch Grenzsteine ersetzt – oder die noch wenigen, vorhandenen Bäume gerieten in Vergessenheit. Nach jahrzehntelanger Entwicklung beziehungsweise Wachstumsphasen entstanden Bäume, die von großer ökologischer Bedeutung sind.

Regen, Frost und sommerliche Hitze machten sich immer wieder an den Schnittstellen zu schaffen. Durch das Heranwachsen der Triebe zu Stämmen entstanden durch deren Eigengewicht und durch den Wind Risse, in denen Moose und Pilze einen Lebensraum fanden. Diese läuteten die langsame Zerfallsphase der heutigen „Baumruinen“ ein. Das Eigengewicht der Stämme führte auch nicht selten dazu, dass Bäume gespalten wurden oder ganz auseinander brachen. Das zerfallende Holz bot Lebensraum für die im Holz oder Holzmulm lebenden Insekten.  Mehr als hundert Käferarten kann ein einzelner Baum aufweisen! So gibt es Larven, die im Holz oder Holzmulm ihre Entwicklungszeit verbringen und als ausgewachsene Käfer in anderen Regionen zu Hause sind. Wiederum gibt es welche, die sich während ihres ganzen Lebens darin aufhalten, oder solche die erst diesen Lebensraum aufsuchen, wenn sie erwachsen sind. Die Insektenfauna ihrerseits dient anderen Spezies wie Ameisen oder Vögeln als willkommene Nahrungsquelle. Hieraus ergibt sich ein Abhängigkeitsverhältnis einzelner Lebewesen in einem offenen System, wobei die Konkurrenz um Nahrung und Fortpflanzungsmöglichkeiten den Bestand regulieren.

Durch Pilze und Bakterien, die in sehr großer Zahl, in dem anbrüchigen Holz vorhanden sind, werden tierische und pflanzliche Verbindungen zu Kohlendioxid, Nitrat, Phosphat und Sulfat umgesetzt. Dieser Mineralisationsprozess kommt den grünen Pflanzen zugute, welche diese chemischen Elemente und Verbindungen für ihren Aufbau und einem gesunden Wachstum benötigen. Solche Beziehungen, die auch mit benachbarten Lebensgemeinschaften in Verbindung stehen und sich im Bezug auf Nährstoffen ergänzen, werden als „autark“ (unabhängig) bezeichnet.

Aber auch andere Tiere wie zum Beispiel der Specht sind von solchen alten, morschen Gebilden abhängig. Er hat sich auf Ameisen und Käferlarven als Nahrung spezialisiert. Mit einer sehr großen Geschwindigkeit – etwa 20 Schläge pro Sekunde – meißelt er in diese stammfaulen Bäume Höhlen, die ihm als Brutmöglichkeit dienen. Da diese Höhlen nur einmal von ihm genutzt werden, können in darauffolgenden Jahren andere Höhlenbrüter ihren Nutzen daraus ziehen. Hierzu zählen Meisen, Siebenschläfer, Fledermäuse, Hornissen und viele andere mehr. Über viele Jahre hinweg entstehen so in den Kopfbäumen immer größer werdende Höhlen, die für zurückgehende Arten wie Eulen eine Brutmöglichkeit darstellen. Auf diese Weise fördert der Specht das „Wohnungsbauförderungsprogramm“ des Waldes.

Da Bäume auch nur eine begrenzte Lebensdauer haben, sollte man aus Gründen der Nachhaltigkeit den Versuch unternehmen, neue Kopfbäume anzulegen, wobei der Zeitfaktor beachtet werden muss. Denn neu angelegte Bäume werden erst nach Jahrzehnten die Funktion der bis dahin in ihrer Anzahl wahrscheinlich noch geringer gewordenen Kopfbäume erfüllen können.

 

Fotos: pixabay.com

   
 

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