Rocky der Jäger !!!

Nun war es passiert. Wir liefen wie gewohnt die Nachmittagsrunde – 17 Uhr – und auf dem Weg zum Feld konnte ich von weitem schon sehen, dass keine Spaziergänger oder andere Hunde unterwegs waren. Am Feld angekommen scannte ich nochmal die Umgebung ab, es war nichts und niemand zu sehen. Sieht Rocky jemanden kommen oder einen anderen Hund, setzt er sich zumeist hin und guckt wer da kommt oder wartet einfach die Zeit ab, bis derjenige da ist. Das ist ein gutes Verhalten und gibt ihm die größtmögliche Freiheit. Das ist von uns gut gemeint, aber was ist Freiheit für einen Hund ? 

Freiheit ist die Möglichkeit der Wahl, auch wenn er noch so gut erzogen ist.
Ein Hund bleibt ein Hund, denn er hat die Wahl zu sagen, Bildung ist wohl das was übrig bleibt, wenn ich vergesse was ich gelernt habe. Ich schnallte Rocky ab, damit er beim Erledigen seiner „Geschäfte“ die Hundeleine nicht als Abschleppseil benutzte und war lediglich verwundert, dass unser Wirbelwind in keinster Weise am Boden oder Gras schnüffelte. Es hätte mir zu denken geben müssen. Als er vom Haken war, ging er aus dem Stand in den vollen Sprint und schoss quasi, von null auf hundert in drei Sekunden, in einer Diagonalen über die Wiese und in ca. 159 Meter Entfernung sah ich plötzlich ein Reh aufspringen. Wohl bemerkt, 17 Uhr und nahe den Häusern. Das Reh flüchtete Richtung Stein über das Feld und durch das Getreide. Rocky flog förmlich hinterher und das Reh schlug einen großen Bogen und war nicht mehr zu sehen. Rocky ließ sich bis dahin noch abrufen und war auf dem Weg zu mir. Dann machte das Reh einen entscheidenden Fehler, es sprang durch das Gras / Getreide und war somit wieder sichtbar, auch für unseren Jäger. Rocky ging sofort zur Hatz über und verfolgte seine „Beute“ unermüdlich. Diese lief über das Feld Richtung Häuser und ich pfiff und pfiff, ohne Erfolg. Es machte einen weiteren Fehler, es lief Richtung Dorfeingang um kurz vor der Straße einen Rechtsbogen zu schlagen und das war eine Sackgasse, da nach Westen und Norden nur Mauern waren. Es musste einen noch größeren Bogen schlagen um dann in Richtung Süden zu flüchten, was der beste Fluchtweg für das Reh war. Dann geschah etwas, was mir die Haare zu Berge stehen ließ, Rocky gab Sichtlaut. Das bedeutete, er war völlig in einem Rausch. Sichtlaut ist für einen Vorstehhund gut, sehr gut, es hat ihm aber niemand beigebracht. Ich hörte nur ein tiefes wuff, wuff, wuff, sah ein irres Tempo und dann geschah es, das Reh stürtzte und ich dachte, jetzt ist es aus. Blitzschnell rappelte es sich wieder auf und es ging in unverminderter Geschwindigkeit Richtung Waldrand. Wuff, wuff, wuff hörte ich immer weiter und dann sprang das Reh in ein dichtes Brombeergestrüpp und dahinter war Stacheldraht. Da Rocky kein Terrier ist, legte er sich vor dem Gestrüpp ab, mit der Folge, dass er mich nicht mehr sehen konnte. Ich ging in die Hocke, pfiff nochmal und unser Wirbelwind lief zurück zur Wegekreuzung da überhaupt kein Sichtkontakt bestand. Da ich immer weitergelaufen war, konnte er mich von da aus sehen und kam treu und brav angelaufen. Geschimpft hatte ich nicht mit ihm, aber er musste fortan an der Leine laufen. Für ihn war es sicher pure Freude, für mich nicht. Auf dem Rückweg liefen wir den Waldpfad entlang wo sich der Stacheldraht befand um nachzusehen, wo das Reh abgeblieben war. Ich konnte die Stelle finden, an der das Reh über den Stacheldraht sprang, denn darauf lag ein frisch zerbrochener Ast. Rocky nahm sofort die Fährte auf, verhielt sich aber ruhig. Alles war gut ausgegangen und der Geist kehrte in die Flasche zurück. Ob es sich um einen jungen Bock gehandelt hatte oder um ein Schmalreh konnte ich bei der affenartigen Geschwindigkeit nicht erkennen.

Anmerkung zu Sichtlaut für nicht Insider:
Möchte man sich einen Welpen zulegen der später jagen soll, sollte man sich einen aus einer Leistungszucht holen in der beide Eltern eine Gebrauchsprüfung absolviert haben. Hier sind die Gene für eine solche Art der Jagd enthalten und die Hunde müssen nicht mühsam angelernt werden. Bei der VJP (Verbandsjugendprüfung) wird das Jagen mit Sichtlaut geprüft. Weitere Laute sind: Fährten- oder Spurlaut, Standlaut, wenn das Wild gestellt ist und Weidlaut, wenn der Hund die Spur verloren hat. Es gibt auch noch das stumme Jagen, diese Hunde sind für die Zucht ausgeschlossen.

. Abb.1  Schmalreh = weibliches Tier, das noch keine Kitze Gesetzt hat.     

   Am 04.05. liefen wir unsere Nachmittagsrunde und Rocky lief zunächst an der fünf Meter Leine um a) seinen Radius zu trainieren und b) ihm das Jagen nach Vögeln abzugewöhnen.  Auf dem Weg zur Schutzhütte sahen wir auf halber Höhe drei Rehe im Getreide stehen, noch keine 50 Meter von uns weg. Die Rehe schauten zu uns rüber und wir zu ihnen. Rocky machte keinerlei Anstalten sich zu bewegen. Er stand regungslos da und schaute. Die zwei Schmalrehe und die Ricke zogen ganz langsam durch das Getreide und blieben immer wieder stehen, um zu uns rüber zu äugen. Es war eine interessante wie auch harmonische Begegnung. Ob unser Jäger was gelernt hatte ? Meine Hand würde ich zunächst dafür nicht in`s Feuer legen, denn ich sah förmlich seine Denkwolken aus dem Kopf emporsteigen. Bei den Vögeln wird es langsam weniger. Wenn er etwas fixiert kommt ein strenges „aus“ und er bekommt ein Leckerchen. Er muss lernen, dass er den Vogel nie erwischen kann, dafür aber ein Leckerchen sicher ist, wenn er auf mein Kommando hört.

Alle Hunde haben einen mehr oder weniger einen ausgeprägten Jagdsinn. Gerade Jagdhunden wird man das nicht abgewöhnen können. Die Bindung an den Besitzer und das Abrufen lassen spielen eine zentrale Rolle. Passt das zusammen, muss der Hund nicht nur an der Leine laufen. Einen Windhund nur an der Leine zu führen wäre wie ein Fisch ohne Wasser. Bewegungsfreiheit bedeutet für einen Hund hohe Lebensqualität. Das bedeutet, Herrchen und Frauchen müssen ihren Vierbeiner im Blick haben und sobald der Hund etwas fixiert, abrufen. Genau hier liegt der Knackpunkt, denn der Geist muss in der Flasche bleiben. Das muss trainiert werden „bis zum Erbrechen“ und das ein ganzes Hundeleben lang. Zu meinen, das ist halt ein Jagdhund um das Antijagdtraining nicht zu bemühen und den Hund Hund sein zu lassen, wäre ein fataler, unter Umständen ein tödlicher Fehler. Auf uns wartet auf jeden Fall noch viel Hundearbeit. Auch Jagdhunde, die für Jäger ihre Arbeit machen, müssen unter Kontrolle gehalten werden. Haben sie außerhalb ihrer Arbeitszeit die Möglichkeit der Wahl, werden auch diese das Wild jagen.

Es darf für keinen Vierbeiner ein fröhliches Halali geben, auch nicht für Rocky.

Anmerkung der Redaktion: Der Autor ist Jäger und Rocky als Junghund in der Ausbildung.