Sex allerorten

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In den kommenden Wochen ist es wieder soweit: unsere Wälder blühen im April / Mai und kaum jemand bekommt es mit. Verwunderlich ist das nicht, denn unsere Waldbäume blühen erst in einem, aus menschlicher Sicht, relativ hohen Alter. Die Buchen mit etwa 50 Jahren, Eichen mit ca. 60 Jahren und in diesem Alter hat man es schon mit stattlichen Bäumen zu tun. D. h., die Blüten sind hoch oben und diese Blüten sind eher unscheinbar und man kann sie als solche kaum wahrnehmen. Da unsere Waldbäume überwiegend Windbestäuber sind benötigen sie bei der Blüte keinen aufwendigen Schauapparat wie unsere Blumen und sie benötigen auch keine Duftstoffe, um Insekten anzulocken. Als Ausnahmen kann man die Kastanien oder Weiden nennen, die mit ihren „Schaublüten“ Heerscharen von Insekten anziehen. 

 Nadelbäume weisen überhaupt nichts von all dem auf, was man sich unter einer Blüte vorstellt. Über die aufrecht stehenden Zäpfchen, die entweder Pollen oder Stempel enthalten, blickt der Laie meist ahnungslos hinweg. 

 Es werden ungeheure Mengen an Pollen produziert, die einzig der Verbreitung dieser Pflanzen dienen. Die Pollen der Kiefer Y z. B. existieren in keiner anderen Pflanzengruppe und das ist eine „Erfindung,“ die eine wichtige evolutionäre Innovation darstellt. Sie erklärt den Erfolg dieser Pflanzen im Laufe der geologischen Zeitalter. Die Pollen der Kiefer Y existieren aber auch bei keiner anderen Kiefer, es sei denn, es würde sich um einen engen Verwandten handeln, der das gleiche Erbgut trägt. 

Was für uns so selbstverständlich ist, war aber nicht immer so. Die sexuelle Vermehrung der 

 Pflanzen gibt es seit ca. 280 Millionen Jahre und da waren es die Nadelbäume, die dieses Prozedere praktizierten. Laubbäume traten erst viel später auf den Plan. Der Grund, warum die Evolution die sexuelle Vermehrung als die Ultima Ratio favorisierte ist einfach der, dass sich die Natur davor über Sporen oder über die vegetative Vermehrung ständig klonte. Alles was neu wuchs, war der Abklatsch der Mutterpflanze und es gab somit keine Variabilität der Gene, die aber unbedingt notwendig war. Sind immer die gleichen Muster der Gene vorhanden, haben Angreifer wie Bakterien oder Pilze oder sonstige Krankheitsverursacher leichtes Spiel und die Rückschläge oder Verluste im Pflanzenreich waren hoch. Bis die sexuelle Vermehrung erfolgreich stattfinden konnte, musste die Evolution sicher viele Rückschläge in Kauf nehmen. Doch der Erfolg, so wie wir ihn heute kennen, war für die Natur viel bedeutsamer. Denn die Folge ist, dass bei der sexuellen Vermehrung das Erbgut zweier Pflanzen vermischt und neu verteilt wird. Durch Sex entstehen Nachkommen mit einer neuen genetischen Ausstattung und von daher leicht veränderten 

Eigenschaften. Sie sind robuster gegenüber Krankheitserregern. Ein Beispiel, wo das nicht so ist, ist ein Pappelwald im US-Bundesstaat Utah. Die 47 000 Pappeln, die dort wachsen, haben sich nur über Rhizome vermehrt, also über Wurzelausläufer, und besitzen alle das gleiche Erbgut. Sie sind Klone mit identischen Eigenschaften. Wissenschaftler betrachten den Wald als einen einzigen großen Organismus und sind gespannt, was passiert, wenn auch nur ein Krankheitserreger eindringt. Genau dieses Dilemma musste die Natur überwinden.  

 Myriaden von Pollen werden von den Nadelbäumen im Frühjahr gebildet und bei entsprechender Wetterlage freigesetzt in der Hoffnung, einen geeigneten Partner zur Samenbildung zu finden. Ein einziger Partner würde reichen, um seine eigenen Gene zu erhalten und weiter zu geben. Ob die Wetterlage geeignet ist um den Pollenflug zu starten, bestimmt der Baum selbst. Was er nicht bestimmen kann, ist die Windrichtung. Hier beginnt dann auch der Kampf um Sein oder Nichtsein. Die riesigen Mengen von Blütenstaub durchziehen in dieser Zeit unsere Wälder und man kann sie als gelbe Wolken wahrnehmen. Da die männlichen Fortpflanzungsträger sehr leicht sind, können sie binnen kürzester Zeit hunderte von Kilometer zurück legen um Partner zu finden. Gene sind aber nicht gleich Gene und Standort nicht gleich Standort. Die Gene einer Kiefer aus der Niederrheinischen Bucht sind ganz andere als bei einer Kiefer im hohen Norden. Die Standortansprüche sind ebenso unterschiedlich wie die klimatischen Verhältnisse. Es würde also wenig Sinn ergeben, vom Wind an den 60. Breitengrad geweht zu werden. Eine Vermischung des Erbgutes wird nicht stattfinden. Kommen die Pollen dort an, hat da das Frühjahr noch nicht begonnen. Fliegen sie sehr weit nach Süden, wird das Frühjahr schon vorbei sein. Um Erfolg zu haben, können sie sich nur in einer bestimmten Region bewegen und sputen müssen sie sich auch, denn die Lebensdauer der Pollen beträgt etwa 20 Minuten bis hin zu wenigen Stunden. 

 Die „Schöpferkraft“ hat aber noch eine weitere Hürde für die Pollen bereitgestellt. Da sie die Variabilität der Gene erhalten möchte, darf es nicht zur Bestäubung naher Verwandter kommen. Inzucht muss auf jeden Fall vermieden werden. Hier wurde eine Trennung von nur männlichen und weiblichen Bäumen vorgenommen. Es gibt auch Bäume die männliche und weibliche Blüten tragen. Bei diesen Bäumen findet die Blüte zu unterschiedlichen Zeiten statt. Es gibt aber auch genetische Erkennungsmechanismen, um die Selbstbefruchtung unmöglich zu machen. Die weibliche Blüte erkennt anhand der Oberfläche des Pollens die gleiche Abstammung und lehnt ihn ab. Ist das der Fall, bleibt er an der weiblichen Blüte kleben und ist für alles weitere Geschehen eliminiert. Wie alle Lebewesen stecken auch Pflanzen viel Energie in den Erfolg der nächsten Generation. Dieser Erfolg wäre bei Inzucht nicht gewährleistet. Hat die Befruchtung erfolgreich stattgefunden, reifen die Samen in einem sich 

 langsam verholzenden Zapfen heran. Sie liegen lose im Zapfen und sind nicht von einem Fruchtknoten umgeben, weshalb man die Nadelbäume als Nacktsamer bezeichnet. Im Fachtermini heißt das Gymnospermen, was aus dem altgriechischen hergeleitet wird: gymnòs = nackt und spèrma = „Keim“ oder Same 

= Nacktsamer. In Sachen sexueller Vermehrung tat sich entwicklungsgeschichtlich aber noch mehr. Vor ca. 60 Millionen Jahren entwickelten sich die Laubbäume und ihr 

Erfolg beruhte auf einer Vielzahl von Neuerungen, so auch das Vorhandensein von Tracheen (Gefäßen), weshalb man sie als Angiospermen bezeichnet Angio = Gefäß. Die sexuelle Vermehrung der Nadelbäume, die durchaus sehr erfolgreich war, haben die Angiospermen weitestgehend übernommen – Bestäubung durch den Wind – bis auf eine Ausnahme: sie schließen ihre Samen in Fruchtknoten ein, in denen sie heranreifen, und setzen bei der Verbreitung auf Interaktionen des Tierreiches. 

 

 
 

 
 

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