Zur Ethologie des Hundes

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“Ich bin der Ansicht, dass wir eine tiefsinnige und nachdenkliche Verhaltensforschung benötigen, um den Leuten aufzeigen zu können, was sie Nicht-Menschen antun, und ihnen ihre moralische und ethische Verpflichtung den Tieren gegenüber bewusst zu machen” (MARC BEKOFF 1997).

Ethologische Grundlagenforschung an Haushunden hat einen sehr hohen Anwendungswert. Sie ist stets als tierschutzorientiert zu verstehen, hilft doch allein ein vertieftes und erweitertes Wissen, Tiere zu schützen. Menschen und Tiere sind Teil derselben Welt, dieses sollten wir nie vergessen. Menschen und Tiere sind auf vielen Ebenen ganz tief miteinander verbunden. Wenn wir Tiere für unsere Interessen instrumentalisieren, sie aus kommerziellen Gründen oder zu unserer Belustigung “gebrauchen”, sie so vom Säugetier Mensch trennen und als den Menschen unterlegen ansehen, dann werden wir es sein, die einst die Tiere mehr vermissen, als die überlebenden Tiere gerade uns.

Wir müssen erkennen, dass wir nicht nur ein integraler Bestandteil der Natur sind, sondern darüber hinaus noch eine einzigartige Verantwortung der Natur gegenüber haben. Wir haben ein Tierschutzgesetz, das uns anweist, Tiere direkt zu schützen. Indirekter Tierschutz jedoch ist nach wie vor nicht selten. Immer wieder handeln wir anthropozentrisch ( anthrop (griech.) = Mensch als solcher, Mann und Frau), sehen also den Menschen als zentralen Grund, wenn wir Tiere aus ureigenen menschlichen Interessen gut behandeln, nicht etwa, weil wir Mitgeschöpfe in ihnen sehen, die wir schützen wollen. Ethischer Tierschutz gebietet, dass Hunde unter Wahrung des Wohlbefindensschutz zu behandeln, so auch auszubilden sind. Wohlbefindensschutz umfasst neben dem Schutz des Tieres vor körperlichem Schmerz und vor Schäden auch Schutz vor Leiden, die ja psychische Korrelate umfassen, die das Empfinden ansprechen. Qualifizierte Ausbildung von Hunden fordert vom Trainer ein umfassendes Wissen zur Ethologie (“Lehre von den Sitten und Gebräuchen der Tiere”, Lehre vom tierlichen Verhalten, ab).

Der Tierhaltungsparagraph unseres Tierschutzgesetzes (Fassung vom .06.1998), §2, Abs. 1, wird als Magna Charta aller jener Tiere bezeichnet, die sich in Menschenhand befinden. Mit den Erfordernissen der Artgemäßheit und Verhaltensgerechtheit wollte der Gesetzgeber den Erkenntnissen der Verhaltensforschung in dem gebotenen Umfang Rechnung tragen. Eine höhere Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse gehört zu seinen Wesenszügen.

Nun sind Haustiere schwerlich “artgerecht” zu behandeln, auch “haustiergerecht” vermag nicht zu überzeugen. Gerade für Hunde, die in so großer Variabilität auftreten, man denke an eine Dogge und einen Chihuahua – und deren höchst unterschiedliches Verhalten, wären “rassegerechte Behandlungen” zutreffender. Der Ausdruck “tiergerecht”, der sich auf ein Tier und dessen spezielle Verhaltensbedürfnisse in seinem ganz speziellen Wirklichkeitsausschnitt bezieht, ist vielleicht objektiver, da die Beurteilung sich auf ein spezielles Tier mit einer speziellen Verhaltensentwicklung und bestimmten Lebensumständen bezieht.

Trotz der zunehmenden verhaltensbiologischen Arbeiten an Wild- und Haushunden, ist das Wissen vieler Hundehalter lückenhaft bzw. besetzt mit “Althergebrachtem”. Beispielhaft sei der “angeborene Welpenschutz” genannt, den jeder “instinktsichere” Hund haben muss – und der sich auch auf menschliche Säuglinge ausweiten lässt. Eine Legende, die bereits fatale Folgen hatte. Jeder Hund muss lernen, mit Welpen wie mit insbesondere mit kleinen Menschen umzugehen.
Ein erwachsener Hund, der nie Kleinkinder kennenlernte, wird sie nicht schützen. Sie werden ihm lästig werden, vielleicht hat er Angst vor ihnen, versucht auszuweichen. Vielleicht wird er sich ihrer erwehren. Legenden sind gefährlich. Es gibt immer wieder Eltern, die Hund und Kleinkind allein lassen, nicht über die Gefahr einer Rivalität zwischen Hund und dem Baby, dem die Aufmerksamkeit der Familie gilt, zu denken. Der Hund möchte die ungeteilte Aufmerksamkeit zurück, er ist ein hochsoziales Wesen. Das Kleinkind ist ihm im Wege. Durch Nichtwissen kann sich Schreckliches ereignen. Reißerische Presseberichte über die vermeintliche “Bestie” und politische Profilierungen helfen nicht weiter.

Unser Ausdrucksverhalten kann Hunden sehr geläufig werden, sie wissen über unsere Stimmungen mehr als uns bewusst ist, lernen unsere Signale bzw. Sinngehalte, die über Mimik und Gestik hinausgehen (Art des Sprechens, Bewegungsweise, Gesichtsausdruck) schnell und präzise kennen. Über Gestaltwahrnehmung und Metakommunikation geben wir ihnen so oder so etliche Botschaften. Geschieht dieses bewusst zur Verständigung, indem bestimmte Bewegungen mit bestimmten akustischen Hilfen verknüpft, bei gewünschter Reaktion des Hundes belohnt werden, ist letztendlich eine Kommunikation über kleinste Zeichen zu erreichen. Denn Hunde achten auf uns, reagieren zudem stark auf verbales Lob, das ihnen die Zugehörigkeit zur Gruppe versichert, und lernen im sozialen Bereich sehr viel. Hunde scheinen gerade im sozialen Bereich äußerst intelligent zu sein, insbesondere hier gibt es etliche Fallbeispiele für spezialisierte Mechanismen sozialen Lernens.
Da Hunde einer ausgesprochen sozialen Art angehören, überraschen diese besonderen Fähigkeiten nicht sehr. Die Fähigkeit von Individuen, sich an das Verhalten anderer anzupassen, hat ja große Vorteile für soziale Caniden. So ist davon auszugehen, dass diese herausragende Lernbegabung der Haushunde auf entsprechende Lernfähigkeiten des Wolfes zurückzuführen sind, auf Fähigkeiten, die eine Auslese im Hinblick auf soziale Fertigkeiten widerspiegeln. Wölfe können sich nicht auf vorprogrammierte Reaktionen “verlassen”. Sie müssen lernen, wer wem gegenüber dominant ist, sich erinnern, was sich zwischen bestimmten Individuen des Rudels ereignete, die Veränderungen von Beziehungen unter Rudelmitgliedern registrieren und speichern, wissen, wer wem was getan hat.

Individuen, die sich hier besonders hervortaten und – tun, haben den größten Fortpflanzungserfolg, was die Selektion besonderer Lernfähigkeiten begünstigt. Hunde werden üblicherweise vom Menschen zur Fortpflanzung ausgewählt und durch gezielte Zuchtwahl genetisch verändert. Diese begünstigt nicht immer ihre soziale Intelligenz. Wenngleich sozial anpassungsfähige Individuen gewünscht werden, so wird dieses Merkmal doch selten für die Zuchtauswahl geprüft bzw. berücksichtigt. Ausgenommen sind Rassen, deren Zuchtwahl bestimmte, z.T. hochkomplexe Lernleistungen fordert. Dennoch ist als allgemeingütig festzuhalten, dass Hunde als wölfisches Erbe und als Ergebnis der Domestikation insbesondere Fähigkeiten erwarben, über ihr soziales Umfeld zu lernen. Und hier geht es vorzugsweise um den Menschen, der ihr Hauptsozialpartner wurde.
Meine Ausführungen sollen hilfreich sein, Ausdrucksverhalten unter Hunden in seinen facettenreichen Variationen von Aktionen und Reaktionen kennenzulernen. Ganz so einfach ist ihr Ausdrucksverhalten nicht, es gibt zahllose situative Variationen und Änderungen durch ihre unterschiedliche Jugendentwicklung. Zudem unterscheiden sich die vielen Rassen, die ja aufgrund ihres teilweise extrem unterschiedlichen Aussehens und der damit einhergehenden Ausdruckseinbuße Reduktionen in Mimik und Körpersprache aufweisen. Und auch Rassen mit ähnlich anmutenden Ausdrucksmöglichkeiten, fallen durch ein variables Verhalten selbst in diesem Bereich auf, der am ehesten als genetisch determiniert anzusehen ist. Grundsätzlich jedoch, gibt es Übereinstimmungen.

Mein Leitgedanke bei der Erarbeitung des Vortrags liegt in der Vermittlung des Wiedererkennungseffekts: “Das macht mein Hund auch so – und ich hielt es für gefährlich und half ihm ….” vielleicht in Situationen, die erst durch das Eingreifen problematisch für ihn wurden. Kennt der Hundehalter die angeborenen Rituale hundlichen Umgangs miteinander, die ja grundsätzlich sehr ähnlich oder gleich sind, in Feinheiten jedoch von Rasse zu Rasse variieren können, weiß er zudem um ihre Funktionen, so kann er auch decodieren, was sein Hund von anderen Hunden oder von ihm will. Ritualisierte Missverständnisse zwischen Hund und Mensch werden sich nicht entwickeln und die Voraussetzungen für eine entspannte Beziehung sind gegeben. Denn natürlich verhundlichen Hunde den menschlichen Sozialkumpan.

Und besinnen wir uns dann auf unser eigenes, recht reichhaltiges Ausdrucksverhalten, das Hunde genau beachten und kennen, ob es uns nun bewusst ist oder nicht, dann gibt es eine Fülle stimmlicher, optischer oder taktiler Reize bzw. deren Kombinationen, die wir mit ganz bestimmte Situationen und / oder hundlichen Verhaltensweisen assoziieren können, damit der Hund unser Anliegen an ihn verstehen zu lernen beginnt.
Diese Verständigung ist nicht allein tiergerecht, da sie auf angeborenen Anteilen des hundlichen Sozialverhaltens basiert und sich des hundlichen Lernverhaltens bedient, sie ist auch deshalb so s effektiv. Erleichternd kommt beim Hund, dem Sozialkumpan des Menschen, einem besonderen Haustier, das sehr enge Beziehungen zum Menschen entwickelt, hinzu, dass er eine ausgeprägte Affinität zum Menschen wohl auf genetischer Basis entwickelte, in dem langen Zeitraum der Domestikation.

 


 

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